„Multijobber“ – Schönfärberei in der Niedriglohnpolitik

Nicht das erste Mal lassen sich Nachrichtenredakteure vor den Karren der Verschleierungspolitik spannen. Es locken zu viele vordergründige Vorteile. Ein schöner kurzer Begriff. Klingt modern, knackig, griffig. Und gar nicht negativ. Der „Multijobber“ hat sich wieder in die Meldungen eingeschlichen.

Neu ist der Begriff nicht. Schon vor mehr als zehn Jahren war von „Multijobbern“ die Rede, vor allem im Zusammenhang mit den zur Jahrtausendwende neu definierten „geringfügigen Beschäftigungen„, auch damals schon „Minijobs“ genannt. Wer mehrere davon hatte, dem wurden als „Multijobber“ von der Fachpresse bereits 2002 Tipps zum steuerlichen Umgang damit gegeben. Zum Beispiel auf der Seite karriere.de, einem Internetportal von Handelsblatt und WirtschaftsWoche:

„Für Multi-Jobber: Hat ein Student mehrere 325-Euro-Jobs oder andere Einkünfte, erhält er keine Freistellungsbescheinigung, ist also steuerpflichtig.“

Das ist knapp zwölf Jahre her. Seitdem geht es längst nicht mehr nur um Studenten, die sich ihre Kasse aufbessern möchten. In der Zwischenzeit haben findige Manager den „Minijob“ geschickt genutzt, um Löhne zu drücken und Sozialabgaben einzudämmen. Eine Analyse des Statistischen Bundesamtes kommt 2012 zu dem Ergebnis, dass mittlerweile rund 7,5 Millionen Menschen in Deutschland einen oder mehrere „Minijobs“ haben – 2,6 Millionen von ihnen zusätzlich zu ihrer Hauptarbeitsstelle.

Und weil „Geringverdiener“ für die interessierten Seiten wie Wirtschaft und Politik natürlich viel zu negativ klingt, musste ein anderer Begriff her. Der brauchte nicht einmal neu erfunden werden. Warum nicht den „Multi-Jobber“ aus den Anfangszeiten der „Minijobs“ wieder aus der Begriffskiste holen? „Multi“ funktioniert doch auch sonst gut: „multifunktional“, „Multitasking“, „multilingual“, etc. – das klingt nach was, da kann einer was. Es drängt sich fast der Eindruck auf, der „Multijobber“ sei eine Art „Tausendsassa“ der Arbeitswelt. Und so rauscht diese schönrednerische Konstruktion munter durch die Schlagzeilen:

„Immer mehr Deutsche sind „Multi-Jobber“ – 2,6 Millionen haben zum Hauptberuf noch einen Nebenverdienst“,

titelt die Saarbrücker Zeitung. Klingt doch prima! Erst im Artikel kommt dann die wirkliche Nachricht:

„Das Einkommen aus ihrem Hauptberuf reicht vielen Bürgern nicht mehr aus.“

Auch der WDR kommt mit der Dachzeile auf seiner Internetseite erst einmal harmlos daher:

„Zahl der Multijobber nach Medienberichten deutlich gestiegen“.

Zum Glück ist diese Zeile in der Nachrichtensendung nicht zu hören. Dort kommt direkt der Leadsatz der Meldung – der ungeschönt feststellt:

„Vielen Arbeitnehmern in Deutschland reicht ihr Lohn offenbar nicht, um über die Runden zu kommen.“

Ich habe mich entschlossen, den Begriff „Multijobber“ nicht mehr zu verwenden. Er ist verharmlosend und irreführend.

Es mag vielleicht so klingen, aber „Multijobber“ sind eben nicht Menschen, die den Hals nicht voll kriegen. „Multijobber“ sind Menschen, die von der Hand in den Mund leben – trotz mehrerer Arbeitsstellen. Und das lässt sich in der nachrichtlichen Berichterstattung am besten ohne beschönigende Wortschöpfungen darstellen.

(Bild: Fabian Mohr, CC-Lizenz)

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Redakteur und Sprecher

Ein Kommentar zu “„Multijobber“ – Schönfärberei in der Niedriglohnpolitik

  1. dorotheawagner sagt:

    Wie Sie sagen: „Multijobber“ klingt nach einem Tausendsassa, der nicht genug bekommen kann, während der wahre Grund nackte Überlebensnot ist. Journalisten sollten das ent- und nicht verschleiern.

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