Nachrichten sollen kurz und knapp über die jüngsten Entwicklungen informieren. Das gelingt in vielen Fällen auch, aber der Hang nach noch mehr „kurz und knapp“ führt zu Wortkreationen, die mindestens unsensibel sind – wenn nicht sogar schlicht geschmacklos. Es ist Frühjahr, das Wetter wird milder und die See ruhiger: Viele Bootsflüchtlinge nutzen die Gelegenheit, denn die Chance zu überleben liegt höher, als in stürmischen Zeiten. Und schon hat die „Flüchtlingssaison“ begonnen:
Der Beginn dieser „Flüchtlingssaison“ fällt zeitlich mit der Spargelsaison zusammen, bald steht auch die Freibadsaison wieder an und die Reisesaison ist nicht mehr weit. Ja, das ist Absicht, dass hier Flüchtlinge in einem Atemzug mit Spargel erwähnt werden. Denn auf diese Weise wird deutlich, was solche unhinterfragten Komposita bedeuten: Es ist der unsensible und teils zynische Umgang mit Wortkreationen, die geschmacklos sind.
Die Redaktionen, die eine solche Wortwahl treffen, befinden sich in prominenter Gesellschaft. Die Vereinten Nationen sprechen gar von der „Boat Season„, also der Schiffssaison. Das klingt erst recht nach Freizeitkapitänen, die endlich wieder auf der Spree ihre Sportboote zu Wasser lassen, um sich einen schönen Tag zu machen. Andererseits zeigt es, wie unüberlegt mit schlechten Übersetzungen umgegangen wird. Da wird nicht viel hinterfragt, denn es ist so wunderbar kurz und knackig für die Schlagzeile.
meldet der Bayerische Rundfunk. Bei n-tv heißt es zum Beginn des Winters 2014:
Nun ist es sicher auch der Schwäche geschuldet, „Season“ grundsätzlich als „Saison“ zu übersetzen, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass das Wort im Englischen auch „die rechte Zeit für…“ bedeuten kann. Das ist keine Entschuldigung, mag aber als Erklärung gelten. Nur besser wird es dadurch nicht.
Natürlich ist so eine Wortkonstruktion kurz und passt so herrlich in die enge Zeichenbegrenzung für Überschriften. Und als Keyword in Meldungen ist es auch verlockend praktisch.
Nur: Eine „Flüchtlingssaison“ erzeugt Bilder, die rivalisierenden Positionen in die Hände spielt. Da sind einerseits die medial aktiven Lobbyisten, die sich für die Belange von Bootsflüchtlingen einsetzen, sich engagieren für Menschenrechte und ihre Wortwahl mit positiver Motivation treffen. Und da sind andererseits die ebenfalls medial aktiven Lobbyisten, die sich einen Begriff wie „Flüchtlingssaison“ zu eigen machen, um ihre ausländerfeindlichen Sichtweisen zu vermitteln. Beide Seiten betrachten das selbe Bild – und nutzen sogar die selbe Vokabel, um ihre komplett gegensätzlichen Interessen darzustellen.
Beiden Positionen ist gemeinsam, dass sie einen Begriff benutzen, der gar nicht erst hätte in Umlauf geraten dürfen. Und für diese Konjunktur sind wir als Redakteure mitverantwortlich.
Noch eine Umdrehung merkwürdiger sind Bestrebungen, das Wort Flüchtlinge verschwinden zu lassen. Denn wenn aus Bootsflüchtlingen „Bootsmigranten“ werden, verschleiert das die Hintergründe. Es ist ein Unterschied, ob ein Mensch vor Krieg oder Verfolgung flüchtet und gezwungen ist, anderswo Schutz zu suchen, oder ob ein Bürger sein Land aus eigener Entscheidung heraus verlässt, um sich in einem anderen Land niederzulassen, er also migrieren möchte. Je nach politischer Sichtweise kommen auch hier die gegensätzlichen Motive ans Licht, warum die Bezeichnung Flüchtlinge vermieden wird.
Gefährlich wird es, wenn es einer der interessierten Seiten gelingt, einen Begriff mit der Zeit so negativ zu besetzen, dass er nicht mehr zur neutralen Berichterstattung taugt. Und hier sind wir Redakteure gefragt.
Es ist auch unsere Aufgabe, Begriffe auf propagandistische Tendenzen zu überprüfen und diese zu entlarven – seien sie politisch motiviert oder einfach nur aus einer miesen Übersetzung entstanden.