Es sind inzwischen etwa fünf Jahre, dass die finanzielle Situation Griechenlands in den Nachrichten behandelt wird. In dieser Zeit haben sich einige Begriffe aus dem politischen Feld verselbstständigt, die ursprünglich noch als wohlmeinend eingestuft werden konnten. Inzwischen kristallisiert sich eine Situation heraus, die auch erfahrenen Kollegen – mich eingeschlossen – zu Denken geben sollte.
Ich möchte versuchen, es am Beispiel der dritten und jüngsten Verhandlungsrunde darzustellen: Ein Kredit beim Internationalen Währungsfonds steht zur Rückzahlung an und er kann nicht bedient werden. Die politischen Lager in Deutschland werten das von – grob gesagt – „ist doch nicht schlimm“ bis hin zu „das geht ja gar nicht“. Alle diese Einschätzungen sind in den Nachrichten transportiert worden, denn es ist unsere Aufgabe, die öffentliche Diskussion abzubilden. Und natürlich versucht jede Seite, ihre Ansicht als die einzig richtige darzustellen. Das ist völlig legitim und gehört zum täglichen politischen Geschäft. Darum soll es hier auch nicht gehen. Auffallend ist die Wortwahl, die bewusst oder unbewusst dazu führt, unterschwellig tendenziös zu klingen.
Nach Einigung mit Tsipras: Widerstand gegen neues Spar- und Hilfspaket wächst
titelt der MDR.
Durchbruch: Euro-Gipfel ebnet Weg für Griechenland-Hilfspaket
meldet die Leipziger Volkszeitung. Und die Zeitung „Die Welt“ kommt zum Rechenergebnis
Über Jahre wurde stets von „Hilfspaketen“ und „Rettungskrediten“ gesprochen. Das hat sich so sehr in die Köpfe der Redakteure eingeprägt, dass solche Begriffe nicht mehr hinterfragt wurden. Ich nehme mich da nicht aus. Im schnellsten Geschäft der Medien überhaupt – den Nachrichten – passiert das leider, auch wenn es nicht passieren sollte. Es wurde zu kurz gedacht, als „Hilfe“ und „Rettung“ ausschließlich mit dem Wohl der Menschen in Griechenland assoziiert wurde. Selbst als schon sehr deutlich war, dass die Kreditzusagen und Garantien längst nur noch der Bedienung alter Verbindlichkeiten gewidmet sein können, weil nach der Begleichung der Schulden kaum noch Geld übrig ist für direkte Investitionen in Griechenland.
Die Politik auf EU-Ebene hat sich das zunutze gemacht. Das Ergebnis dürfte zufriedenstellend gewesen sein: Selbst Kritiker der Politik in der Euro-Zone sprachen weiterhin von „Hilfspaketen“ und „Rettungskrediten„, auch wenn sie direkte Unterstützung für die Menschen in Griechenland forderten.
sagt Gregor Gysi, der Fraktionsvorsitzende der Partei „Die Linke“ im Bundestag.
Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, seines Zeichens Gegner weiterer Kredite für Griechenland, hält über die verbale Brücke per „sogenannte“ seinen persönlichen Abstand:
ließ er sich im Deutschlandfunk vernehmen.
Wir Journalisten sind also genauso auf die schönfärberische Wortwahl hereingefallen, wie viele andere Beteiligte in der öffentlichen Debatte. Die Begriffe waren so eingeprägt, dass keine andere Wortwahl mehr in Erwägung gezogen wurde. Es wusste ja jeder, wovon die Rede war.
Mit den jüngsten Entwicklungen zwischen Griechenland und der Euro-Gruppe hat sich das geändert. Spät – vielleicht zu spät – wurde klar: Von „Hilfe“ und „Rettung“ zu sprechen, ist möglicherweise nicht die Formulierung der Wahl, wenn die meisten Milliarden in die Bedienung von alten Schulden fließen, nicht aber in Investitionen, die das Land stützen könnten. Jetzt – endlich – finden einige Redaktionen zurück zur nachrichtlich gebotenen Neutralität. Lange propagierte Begriffe werden hinterfragt und zum Teil ersetzt. Einige Beispiele:
- Schuldenkrise: Eigentlich eine Finanzkrise, denn die Schulden stecken nicht in der Krise, sondern die Finanzen Griechenlands.
- Rettungskredite: Suggerieren, es werde ein Land und seine Menschen gerettet. Tatsächlich werden zunächst die Kreditgeber abgesichert.
- Hilfspakete: Klingen, als würde den Griechen eine Massensendung von (Über)lebensmitteln zugeschickt. Gestützt werden aber vornehmlich die Banken, um das Zahlungssystem aufrecht zu erhalten.
Inzwischen ist tatsächlich häufiger wieder von den „finanziellen Schwierigkeiten“ Griechenlands die Rede und von einer „Absicherung der Kreditgeber„. Auch die „Hilfspakete“ werden mittlerweile wieder in einigen Nachrichten als „Finanzplan“ oder „Finanzprogramm“ bezeichnet. Die Wortwahl findet also endlich wieder zurück dorthin, wo Nachrichten ihren Kern haben – nämlich in der möglichst neutralen Formulierung von Sachverhalten, ohne Wertung oder gar Meinung.
Egal, wessen Interessen im Vordergrund stehen und welche persönliche Haltung dazu besteht. Nachrichten liefern Fakten, damit sich unser Publikum eine eigene Meinung anhand der Informationen bilden kann. Das setzt voraus, dass die Wortwahl entsprechend neutral ist und eben nicht gefärbt von Begriffen, die möglicherweise wohlgemeint, aber nicht wohlgetroffen sind.
Den Schuh ziehe ich mir auch an – und ich kann Ihnen versichern: Der sitzt gut. Auch wenn er schon viel früher hätte im Sortiment sein müssen.
(Bild: privat)
Lieber Udo, sehr treffend beobachtet und zusammengefasst, glaubwürdig durch eine Portion Selbstkritik. Leider heutzutage nicht selbstverständlich. Das Problem des Nachrichtenjournalismus ist – seit es ihn gibt – nicht der Zeitdruck, anders wäre er ja gar keiner, sondern die Nichtreflexion der Journalisten über ihre Rolle. Zu viele Kollegen verstehen ihren Job – medientheoretisch gesprochen – rein positivistisch, das heißt: ohne Abstand zum Geschehen, alles 1:1 abbildend so wie es auftaucht. Sie entschuldigen sich damit, die handelnde Person habe das doch „so gesagt“. Für Wirkung und Folgen ihrer Nachricht und der darin unkritisch transportierten PR-Begriffe und Einseitigkeiten fühlen sie sich nicht verantwortlich. So schafft sich Journalismus aber selber ab.
[…] die kategoriale Macht von journalistischen Floskeln wie “Rettungspaket” herausgearbeitet. Wenn sie nicht hinterfragt werden (Wem nützt das Paket denn eigentlich tatsächlich?), dann […]