Am 6. August 1945 klinkte ein US-Militärflugzeug über Hiroshima eine Atombombe aus. Drei Tage später wurde auf Nagasaki eine Atombombe abgeworfen. Die beiden Tage sind nach wie vor jedes Jahr und international wichtiger Anlass, an die Opfer zu erinnern. Etwa 100.000 Menschen wurden direkt durch die Bomben getötet – unzählige Tote kamen durch Strahlenwirkung noch hinzu. Und das sind nur zwei von vielen Ereignissen, an deren Datum zum Gedenken aufgerufen wird. Es ist eine würdevolle Formulierung, oft in Nachrichten zu lesen und zu hören – aber bei falscher Anwendung kann sie zu einer würdelosen Entgleisung werden.
Was haben die folgenden Meldungen gemeinsam?
… weil er Veranstaltungen zum Gedenken an die blutige Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen-Platz in Peking 1989 geplant hatte, …
… wird es im Gedenken an den Völkermord an Sinti und Roma Veranstaltungen geben …
… soll der Atombomben-Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki gedacht werden …
Alle drei Zitate aus Agenturmeldungen sind sicherlich nicht so gemeint – aber so gemacht. Denn in allen drei Beispielen wechseln die Taten in die Opferrolle.
Soll wirklich der Niederschlagung der Proteste in Peking gedacht werden? Oder des Völkermordes an Sinti und Roma? Oder der Atombomben-Abwürfe? Ganz bestimmt nicht!
Das Gedenken gilt natürlich den Opfern dieser Ereignisse. Es wird der vielen Toten gedacht. Ihnen soll eine Erinnerung zuteil werden, denn sie stehen im Mittelpunkt der Andachten und Gedenkveranstaltungen.
Eine der Ursachen für diese – gelinde gesagt – unglücklichen Formulierungen, in denen der Tat anstelle der Opfer gedacht wird, ist die fälschliche Annahme, Gedenken und Erinnerung könnten synonym verwendet werden. Das ist nicht eindeutig der Fall. Erinnerung definiert sich vorrangig über die reine Gedächtnisleistung, wie z.B. der Duden erläutert:
Nur in entfernteren Zusammenhängen ist auch von Andenken und Mahnung die Rede.
Die treffendere und präzisere Wortwahl ist das Gedenken, denn hier spielt die Ehrung der Opfer die zentrale Rolle:
an jemanden, etwas ehrend, anerkennend zurückdenken, erinnern und dies äußern
an jemanden, etwas in einer bestimmten Situation denken, sich an dessen Existenz erinnern
Bevor also wieder Atombomben anstelle von Atombombenopfern, Völkermorden anstelle von Mordopfern und blutigen Niederschlagungen anstelle von Demonstranten gedacht wird, möge dem Gedenken ein Bedenken vorausgehen.
Erinnern wir an Hiroshima und Nagasaki, aber bitte gedenken wir der Opfer, erinnern wir an Völkermorde, aber gedenken wir der vielen Toten und erinnern wir an den Tiananmen-Platz, aber bitte gedenken wir der getöteten Aktivisten.
Die deutsche Sprache gibt diese Möglichkeiten – und die sollten wir nutzen. Insbesondere in Nachrichtenmeldungen, bei denen Präzision in den Formulierungen auch Glaubwürdigkeit sicherstellt.
Völlig richtig. Es sollte der Opfer gedacht werden. Man beachte aber: Man gedenkt im Genitiv! Wie oft kann man aber lesen oder – selbst in der Tagesschau – hören, dass „den Opfern“ gedacht wird …
Hupsi, das stimmt 🙂 Danke für den Hinweis! Des Dativs gedachte ich nur unzureichend…
Udo, du Guter,
dein Satz: „Das Gedenken gilt natürlich der Opfer dieser Ereignisse“, hat aber auch eine gewisse grammatische Unschärfe, meine ich. Gilt das Gelten nicht dem Dativ?
Friede,
Uwe