Volkswagen steht mitten im „Abgas-Skandal“. Gerade ist es dem Konzern gelungen, in den USA einen Vergleich abzuschließen. 15 Milliarden US-Dollar zahlt das Unternehmen, das seine Kunden schamlos betrog. Ein weiterer Vergleich ist noch in Arbeit. Der Vorstandsvorsitzende von VW, Matthias Müller, gibt kurz darauf ein Interview – seine Wortwahl ist erschütternd.
In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 20.11.2016 holt der Manager weit aus. Nicht inhaltlich, sondern verbal. Wie ein Boxer, der zum entscheidenden Schlag ansetzt, greift er die Kunden von Volkswagen an und setzt den ersten Kinnhaken: Ein „paradoxes Phänomen“ gebe es, erläutert Müller. So ganz habe er es noch nicht verstanden.
„Am Angebot mangelt es nicht, sondern an der Nachfrage. Auf der einen Seite denken und handeln viele Deutsche im Alltag grün, wenn es aber um E-Mobilität geht, haben wir als Verbraucher spitze Finger.“
Mit anderen Worten: Was kann ich dafür, dass Ihr zu blöd seid, unsere Produkte zu kaufen. Eine Frechheit, die Müller fast noch ins Absurde verdreht, denn er sagt „wir als Verbraucher“ und lässt damit gleich noch wissen, dass er wohl auch kein Elektroauto von VW kaufen würde. Und dass die Kunden in den USA Entschädigungen erhalten, in Deutschland jedoch nicht, erklärt Müller mit einem verblüffenden Vergleich:
„Den Kunden in Europa entsteht ja kein Nachteil, weder beim Verbrauch noch bei den Fahreigenschaften.“
Soviel also zum „Respekt“ gegenüber den Kunden, der offenbar gerade einmal so weit reicht, wie es US-amerikanische Verbraucherschutzgesetze erzwingen. Diese Aussage beherrscht auch die Schlagzeilen, die das Interview macht. Der Aufhänger der Geschichte lautet in den Titeln fast überall gleich:
„VW-Chef kritisiert Betroffene des Dieselskandals“
Was durch den Aufbau der Berichte beinahe unbemerkt bleibt, ist eine andere Äußerung des Vorstandsvorsitzenden. Und die kommt mindestens einem doppelten Kinnhaken gleich – direkt ins Gesicht der VW-Mitarbeiter:
„Der Volkswagen-Konzern, insbesondere die Marke VW, hat Fett angesetzt in den Erfolgsjahren.“
Diesen Satz werden mindestens 30.000 Menschen, deren Stellen wegfallen sollen, so bald nicht vergessen. Zu ihnen zählen auch Beschäftigte, die über die hauseigene Leiharbeitsagentur für VW gearbeitet haben, natürlich für weniger Geld als die Konzern-Mitarbeiter. Und wenn sie das drei Jahre über sich ergehen ließen, dann durften sie einen direkten Arbeitsvertrag mit VW schließen – mit Tarifgehalt. Ganz schön fett.
Doppelt ist der Kinnhaken mit Blick auf den Zusatz:
„…hat Fett angesetzt in den Erfolgsjahren.“
Welch ein Hohn! Als der Konzern also viel Geld verdiente, in Entwicklung investieren konnte und die Mitarbeiter sogar medienwirksam mit einem Programm 5000 x 5000 geworben wurden (5.000 Mitarbeiter für 5.000 DM, unterhalb Tarif und mit 48-Stunden-Woche), als also alles prima lief, genau in dieser Zeit hat sich Fett gebildet?
30.000 Fettzellen, die nun schnell mal abgesaugt werden müssen? Die VW-Mitarbeiter haben in den erwähnten Erfolgsjahren ganz sicher nicht eine Speckrolle um den Konzern entstehen lassen – im Gegenteil. Sie haben, um im Bild zu bleiben, Muskeln für das Unternehmen gebildet. Und weil das so erfolgreich war, werden sie vom Chef nun umdefiniert zu Fett, das am Konzernkörper lastet?
Undankbarer und verächtlicher hätte es Müller kaum formulieren können. Übrigens bilden Körper bekanntermaßen Fett, um Reserven für magere Zeiten zu haben. Das muss dem Konzernchef wohl bei seinen Äußerungen entgangen sein. Müller hat offensichtlich jeglichen Kontakt mit dem Boden der Realität und des Anstands verloren und scheint in einer erdnahen Umlaufbahn zu kreisen. Im selben Raumschiff hält sich wohl auch seine Presse-Abteilung auf, die das Interview autorisiert hat mit all diesen Formulierungen.
Was für eine Unternehmenskultur. Wer so spricht, wer seine Mitarbeiter als Fett des Unternehmens erachtet, wer sich der niederschmetternden Wucht seiner Worte nicht bewusst ist, sollte sich schleunigst an Beuys’ berühmte Fettecke erinnern. Sie wurde einfach weggewischt. Von einer Putzfrau.
(Bild: Susanne Peyronnet)
Ich frage mich, woher dieses Anspruchsdenken in Deutschland immer kommt. Das sind Unternehmen und keine Pastorentöchter. Egal ob Mobilfunkanbieter, Banken oder Automobilhersteller – alle sind Unternehmen und die Vorstände sind nicht den Kunden verpflichtet, sondern ausschließlich den Geldbeuteln der Eigentümer.
Solche Vergleiche wie bei VW dürfen auch in den USA nur eingegangen werden, wenn sie einen noch größeren Schaden vom Unternehmen abwenden. Handelt der Vorstand diametral anders macht er sich zum nicht nur strafbar sondern gegenüber den Aktionären auch schadenersatzpflichtig.
In der Wirtschaft gibt es keine Moral, wenn sie nicht gesetzlich verordnet ist.
Danke für das Feedback. Die Fettecke, die weggewischt wird von der Putzfrau, sollte eigentlich das Bild zeichnen, dass Müller ganz schnell weg vom Fenster sein kann. Hat wohl nicht so gut funktioniert 🙂
Gute Analyse der Unverschämtheiten gegenüber Kunden und Mitarbeitern. Um bei der Anatomie zu bleiben: In die Krise ist VW nicht durch Muskeln oder Knochen geraten – sondern durch seinen Kopf! Dort (in der Zentrale) ist es doch schief gelaufen.
Der letzte Absatz passt m. E. nicht so richtig zum sonst guten Text: Weder der VW-Chef selbst noch seine Aussagen sind Kunst.