EIL! BREAKING! Oder nicht?

Bundeskanzlerin Merkel ist beim Langlauf „hingefallen“, wie es Regierungssprecher Seibert formuliert. Ein unvollständiger Bruch des Beckenrings ist die Folge. Dazu etwa drei Wochen Bettruhe. Diese nachrichtlich wenig spektakulären Informationen wurden heute in der Bundespressekonferenz bekannt gegeben. Vielen Medien national und international war das eine Eilmeldung wert. Warum eigentlich?

Die Liste der Eilmeldungen von seriösen Medien und denen, die sich dafür halten, ist in Wirklichkeit viel länger. Was ist aber nun so BREAKING und EIL daran, dass die deutsche Kanzlerin einen Skiunfall hatte?

Ist die Regierungsarbeit betroffen?

Nein. Es müssen einige Termine verschoben werden. Das wäre im Falle einer Grippe der Regierungschefin auch nicht anders gewesen. Auch das hätte der Nachrichtenchef der dpa, Froben Homburger (@fhomburger) als Eilmeldung in den Dienst gegeben:

Merkel kann sich außerdem vertreten lassen. Der Kollege Falk Steiner (@flueke) vom Deutschlandfunk empfahl deshalb dringend einen Blick in die Geschäftsordnung der Bundesregierung. Eine Vertretung möchte die Kanzlerin aber gar nicht einsetzen. Sie ließ schon ankündigen, dass die Kabinettssitzung am Mittwoch unter ihrer Leitung stattfinden soll. Und wenn Merkel sich im Krankenbett befindet, dürfte sie auch mit einer sog. „Infraktur“ im hinteren linken Beckenring schreiben, telefonieren und SMSen können.

Ist ihr Gesundheitszustand gefährdet?

Nein. Nach dem jetzigen Stand der Dinge nicht. Der Sturz ereignete sich den Berichten aus dem ARD-Hauptstadtstudio zufolge schon während der Weihnachtstage. Erst am vergangenen Freitag wurde der angebrochene Beckenring diagnostiziert. Vorher war von einer starken Prellung ausgegangen worden.

Ist es eine überraschende Entwicklung?

Ja. Denn es ist seit ihrem Sturz erstaunlicherweise nichts an die Presse durchgesickert. Weder nach dem Sturz, noch nach der Diagnose am vergangenen Freitag. Das ist schon überraschend – und spricht für ihre gute Abschirmung.

Hat die Geschichte gesprächswert?

Ja. Sowas passiert nicht alle Tage. Und es handelt sich nicht um irgendjemanden, sondern um eine hochrangige Politikerin, die weltweit beobachtet wird. In diesem Punkt hat Wolfgang Scheida (@WolfgangScheida) von der WELT-Gruppe recht:

Die Eilmeldungen zum Kanzlerinnen-Sturz passen in die Entwicklung des Mediengeschäfts: Gesprächswert verdrängt zunehmend andere nachrichtliche Kriterien. Hat eine Information auch nur annähernd das Zeug dazu, rote Bauchbinden in „Nachrichtensendern“ zu füllen – her damit. Das zieht Blicke, das bringt Klicks, das hält den Namen des Mediums im Gespräch. Die Geschichte von Merkels Skiunfall ist auch ohne Eil-Breaking-SofortaufdenTisch-BlingBling eine Meldung. Aber mehr eben auch nicht.

Den Umgang mit solchen Meldungen bei Agenturen kann ich nachvollziehen. Sie versorgen nicht nur Medien, die ihren Schwerpunkt im nachrichtlichen „Schwarzbrot“ haben. Auch die Klatschpresse hat Agenturen abonniert. Auch diese Kunden müssen mit ihren Ansprüchen entsprechend versorgt werden.

Der inzwischen weit verbreitete Reflex in Redaktionen, nahezu jede Eilmeldung unverzüglich als wichtiges und weltbewegendes Ereignis weiterzureichen, dürfte auf Dauer aber zu einem Bumerang werden. Eilmeldungen, die ihren Namen nicht verdienen, werden Leser, Zuschauer und Hörer noch gleichgültiger werden lassen. Das kann niemand ernsthaft wollen. Die Aufgabe einer Redaktion ist es auch heute noch, vorzusortieren nach journalistischen Kriterien. Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Insbesondere in Zeiten, in denen Informationen und solche die es gerne wären, in nie da gewesenen Mengen kursieren. Das darf der Medienkonsument von seinen Lieferanten erwarten. Die Lieferanten sind wir.

Über udostiehl

Redakteur und Sprecher

8 Kommentare zu “EIL! BREAKING! Oder nicht?

  1. […] 1. “EIL! BREAKING! Oder nicht?”(udostiehl.wordpress.com, Udo Stiehl) Obwohl der Sturz einige Tage zurückliegt und die Folgen überschaubar sind, verbreiten viele Medien die Nachricht von Angela Merkels Skiunfall als “Eilmeldung”. Für Udo Stiehl ist das symptomatisch: “Hat eine Information auch nur annähernd das Zeug dazu, rote Bauchbinden in ‘Nachrichtensendern’ zu füllen – her damit. Das zieht Blicke, das bringt Klicks, das hält den Namen des Mediums im Gespräch.” Er sieht es als Aufgabe der Medien an, substanzlose Eilmeldungen auszufiltern und nicht sofort weiterzureichen. […]

  2. Frank sagt:

    Naja, die Agentur eilt ja nicht für den Endkunden, sondern für Redaktionen – insofern ist das noch einmal ein Unterschied zu den Sendern, die das als Eil weitergeben. Eilmeldung würde ich aus Redaktionssicht definieren, als eine Meldung, für die laufende Arbeitsprozesse unterbrochen werden sollten, die sofortigen Vorrang hat und den folgenden Arbeitstag wesentlich prägen wird. Das ist ja auch der Sinn der Eilglocke (und es klingelt wirklich noch) – das ich aus meinem laufenden Arbeitsprozess herausgeholt werde und mir anschaue, was da als dringend gemeldet wird. Dies war bei Merkel der Fall und nötig würde ich aus Sicht einer Nachrichtenredaktion sagen.

  3. Christian sagt:

    Ich habe die Spiegel-App für mein Smartphone.Was da als Eil-Meldung durch geht, ist echt der Hammer. Von wegen Smog in China! Das war original eine Eil Meldung letzte Woche. Also so mit Handy vibriert usw. Also ja, ich bin voll der Meinung das mit Eil Meldung VIEL zu inflatoinär umgegangen wird

  4. JJ Preston sagt:

    „Breaking News“ = „Brechende Neuigkeiten“ = zum Kotzen…

    Aber so ist sie halt, die Journaille – cool wie ein ADHS-geschädigter Jack-Russell-Terrier, dem die offene Kaffeedose des Herrchens ins Futter gefallen ist…

    Haben Journalisten eigentlich mehr oder weniger Kinder als der Durchschnitt? Ich mein, wenn die im Bett so schnell sind wie mit den Nachrichten …

  5. Thomas Ballmann sagt:

    Es paßt in eine Zeit, wo einem schon normale Fußballergebnisse als Eilmeldung um die Ohren gehauen werden.

  6. Fritz sagt:

    Der UNterschied zu einer Zeit, da die „Presse“ nicht so stark mit der Selbstvermarktung beschäftigt war, ist vielleicht der, dass sie seinerzeit noch eigene Überlegungen anstellen konnte, was sie „zur Nachricht machen“ wollte. Das ist vorbei, seit alles mit einer Quote versehen ist. „Nachrichtenwert“ ist ja ein anderes Wort für Quotenpotenzial. Und damit rückt bei allen Nachrichten die Emotionalisierbarkeit in den Vordergrund. Vergleiche hier: http://www.fastcodesign.com/3024276/evidence/these-scientists-studied-why-internet-stories-go-viral-you-wont-believe-what-they-f

  7. udostiehl sagt:

    @Christan: Noch ist die Werbung da leider. Hoffe, es wird nicht schlimmer, sonst muss ich das Blog aus der Werbung rauskaufen.

  8. Grübeln gerade, ob die Werbung unter dem Artikel etwas illustrieren soll, oder „ernst gemeint“ ist.
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