Was ist eigentlich in die Politiker und ihre Redenschreiber gefahren? Auf den Parteitagen in den vergangenen Wochen hören wir von Räuber Hotzenplotz, von Robin Hood und Loch Ness. Auch Graf Dracula fand bereits Erwähnung. Gibt es einen geheimen Wettbewerb unter den Parteien um den Großen Preis der plattesten Bilder? Ist die politische Rede neuerdings auf den Wettkampf um den skurrilsten O-Ton für die Nachrichtensendungen reduziert? Was geht an den Rednerpulten der Parteitage eigentlich vor im Wahlkampf?
An diesem Wochenende strömt der irritierente Wortschwall aus Nürnberg in die Redaktionen – vom außerordentlichen Bundesparteitag der FDP.
Der Parteivorsitzende Rösler spricht – und versucht sich an außerordentlichen Bildern. Zum Beispiel zur Politik der Grünen:
Aus dem Marsch durch die Institutionen ist ein müdes Schlurfen über Behördenflure geworden.
Das Bild kommt an: dpa und Reuters geben Röslers Worte in einer Extra-Meldung als Zitat auf den Draht. Nach den Grünen wendet sich der FDP-Vorsitzende an die Adresse der SPD:
Auch das zieht. Das Zitat taucht in drei dpa-Meldungen auf. Nun wird Rösler interaktiv. Er kommt noch einmal auf die Grünen zurück:
Mit dem Verweis auf Robin Hood zitiert der FDP-Vorsitzende aus einem Statement des Grünen-Politikers Özdemir. Röslers Räuber Hotzenplotz schlägt richtig ein: Vier mal wird er genannt bei dpa, vier mal taucht er bei Reuters auf und drei mal erwähnt AFP den bösen Räuber Hotzenplotz.
Das liegt auch an Jürgen Trittin und seiner schnellen Reaktion auf Röslers Rede. Kaum hat der FDP-Vorsitzende das Rednerpult verlassen, meldet sich der Grünen-Spitzenkandidat zu Wort mit einer Replique – via Twitter:
Danke Philip Rösler. Besser der Räuber Hotzenplotz als der Dimpfelmoser der Wutreichen.
— Jürgen Trittin (@JTrittin) 4. Mai 2013
Kurze Zeit später: Auftritt des FDP-Generalsekretärs Döring. Und Robin Hood ist auch wieder da:
Kleine Zwischenbilanz: Trittin ist demnach also nicht Robin Hood, aber der Räuber Hotzenplotz und der Sherrif von Nottingham – in Personalunion. Pech am Rande für Generalsekretär Döring: Sein Bild vom Sheriff wurde von keiner Nachrichtenagentur zitiert.
Fehlt natürlich noch die Rede des FDP-Spitzenkandidaten Brüderle. Er greift so tief ins Niveau der Bilderkiste wie keiner vor ihm. SPD und Grüne wollten die Bürger
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sei ein
in Berlin sei inzwischen die Rede von
Und auch der Grünen-Spitzenkandidat Trittin bleibt von Brüderle nicht unerwähnt. Der wolle die „Mitte aussaugen“ und sei deshalb der
Et voilà: Drei Dracula-Zitate bei dpa, eines bei Reuters. Zu dieser Brüderle-Rede empfehle ich übrigens die Lektüre dieses Artikels auf SZ-Online des Kollegen Thorsten Denkler (auf Twitter unter @thodenk), der sehr treffend ein „Fips-Asmussen-Niveau“ bei Brüderle diagnostiziert.
Jürgen Trittin also ist inzwischen mit drei Titeln versehen: Räuber Hotzenplotz, Sheriff von Nottingham und Graf Dracula.
Der Grünen-Spitzenkandidat allerdings ist auch kein Kind von Traurigkeit in seinen Reden – vor allem wenn es um schräge Bilder und wilde Reime geht. Blick zurück auf den Parteitag der Grünen Ende April zur Vorbereitung des Bundestagswahlkampfs. Trittin bezeichnet in seiner Rede die Bundesregierung als:
Und spricht von den Rüstungsgeschäften der Regierung mit Saudi-Arabien:
Die Parteivorsitzende aber „rockt“ anschließend die Veranstaltung, wie zahlreiche Zeitungen titelten. Claudia Roth drischt auf die CSU ein:
Mit „Schüttel-Schorsch“ ist übrigens der CSU-Politiker Georg Schmid gemeint. Der erhielt diesen Spitznamen laut Wikipedia, weil er jedem so gerne die Hand schütteln mag.
ergänzt Roth noch. Und landet damit einen Volltreffer: Ihr Zitat ist Aufmacher-O-Ton im „Bericht vom Parteitag“ in der ARD.
Sie schließt ihre Rede mit einem wirren Bild – in dem Luftblasen umgemünzt zu Wundertüten mit Nieten werden. Und zwar zum Thema Frauenqoute:
Nach diesen fulminanten Wortkapriolen tobt der Saal. Gastredner Sigmar Gabriel spricht direkt nach Roth. Der SPD-Vorsitzende beginnt mit den Worten:
Und jetzt bin ich die arme Sau die nach ihr reden muss.
Das hatte er Mitte April auch schon auf dem SPD-Parteitag getan. Auch mit Vergleichen und Bildern. Damals sprach er über Bundeskanzlerin Merkel:
Immerhin liefert Gabriel die Erklärung für das Bild gleich mit.
Seien es nun Phänomene aus der Biologie, umgemünzte Luftblasen, fleischgewordene Stillstände oder Figuren aus Märchen und Sagen:
Wer denkt sich das eigentlich aus? Sind das wirklich hochqualifizierte Berater? Und glauben die ernsthaft, solche Texte trügen dazu bei, Wähler zu überzeugen? Es könnte stimmen. Ich vermute eine Strategie.
Die Frage muss nämlich auch an die eigene Zunft gestellt werden: Müssen wir solche Zitate auswählen – obwohl wir wissen, dass sie eigens für uns eingebaut wurden? Denn natürlich gibt es in den Reden auch sachliche Passagen, in denen nüchtern argumentiert wird. Aber die „rocken“ ja nicht. Die klingen ja „dröge“. Das ist doch „langweilig“.
Eine solche Parteitagsrede sieht sich kaum ein potentieller Wähler in voller Länge an. Die meisten Menschen erhalten die Zusammenfassung des Auftritts von uns, den Medien. Wir haben die Rede komplett gehört – meist liegt sie uns sogar schon schriftlich vor, bevor sie überhaupt gehalten wurde.
Trotzdem lassen wir uns immer wieder ködern von den telegenen Häppchen, von den schnittigen kurzen O-Tönen und von albernen Bildern und Vergleichen.
Ich sag’s auch mal mit einem Bild: Lasst uns den Medienstratgen in den Parteien den Wind aus den Segeln nehmen. Lasst uns gedroschene Phrasen nicht mehr zitieren. Sollen denen die Bilder aus dem Manuskript fallen – Kruzifix nochmal!