Im Wahlkampf ist Reden Silber – Phrasendreschen ist Gold

Was ist eigentlich in die Politiker und ihre Redenschreiber gefahren? Auf den Parteitagen in den vergangenen Wochen hören wir von Räuber Hotzenplotz, von Robin Hood und Loch Ness. Auch Graf Dracula fand bereits Erwähnung. Gibt es einen geheimen Wettbewerb unter den Parteien um den Großen Preis der plattesten Bilder? Ist die politische Rede neuerdings auf den Wettkampf um den skurrilsten O-Ton für die Nachrichtensendungen reduziert? Was geht an den Rednerpulten der Parteitage eigentlich vor im Wahlkampf?

An diesem Wochenende strömt der irritierente Wortschwall aus Nürnberg in die Redaktionen – vom außerordentlichen Bundesparteitag der FDP.

Philipp Rösler auf dem Parteitag der FDP am 04.05.13 (Foto: FDP)

Philipp Rösler auf dem Parteitag der FDP am 04.05.13 (Foto: FDP)

Der Parteivorsitzende Rösler spricht – und versucht sich an außerordentlichen Bildern. Zum Beispiel zur Politik der Grünen:

Aus dem Marsch durch die Institutionen ist ein müdes Schlurfen über Behördenflure geworden.

Das Bild kommt an: dpa und Reuters geben Röslers Worte in einer Extra-Meldung als Zitat auf den Draht. Nach den Grünen wendet sich der FDP-Vorsitzende an die Adresse der SPD:

Das Monster von Loch Ness lebt. Nessie lebt. Es ist ein Junge, 66 Jahre alt und heißt Peer Steinbrück!

Auch das zieht. Das Zitat taucht in drei dpa-Meldungen auf. Nun wird Rösler interaktiv. Er kommt noch einmal auf die Grünen zurück:

Jürgen Trittin, das ist nicht der Robin Hood für einige wenige. Sondern er ist der böse Räuber Hotzenplotz für Millionen Menschen.

Mit dem Verweis auf Robin Hood zitiert der FDP-Vorsitzende aus einem Statement des Grünen-Politikers Özdemir. Röslers Räuber Hotzenplotz schlägt richtig ein: Vier mal wird er genannt bei dpa, vier mal taucht er bei Reuters auf und drei mal erwähnt AFP den bösen Räuber Hotzenplotz.

Das liegt auch an Jürgen Trittin und seiner schnellen Reaktion auf Röslers Rede. Kaum hat der FDP-Vorsitzende das Rednerpult verlassen, meldet sich der Grünen-Spitzenkandidat zu Wort mit einer Replique – via Twitter:

Patrick Döring auf dem FDP-Parteitag in Nürnberg (Bild: FDP)

Patrick Döring auf dem FDP-Parteitag in Nürnberg (Bild: FDP)

Kurze Zeit später: Auftritt des FDP-Generalsekretärs Döring. Und Robin Hood ist auch wieder da:

Robin Hood hat einem räuberischen Staat das Geld genommen und es den Menschen zurückgegeben. Wenn es in Deutschland eine Robin Hood-Partei gibt, dann ist es die FDP. Dann sind das wir, die Freien Demokraten. Weil wir die Menschen entlasten. Weil wir ihnen etwas von ihrem Geld zurückgeben. Und weil wir sie gegen die Ausplünderungen durch SPD und Grüne verteidigen. Robin Hood ist ein Liberaler. Der Sheriff von Nottingham, der heißt Jürgen Trittin. Und sein Herr und Meister, das ist der falsche rote König Peer Ohneland.

Kleine Zwischenbilanz: Trittin ist demnach also nicht Robin Hood, aber der Räuber Hotzenplotz und der Sherrif von Nottingham – in Personalunion. Pech am Rande für Generalsekretär Döring: Sein Bild vom Sheriff wurde von keiner Nachrichtenagentur zitiert.

Rainer Brüderle nach seiner Rede in Nürnberg (Bild: FDP)

Rainer Brüderle nach seiner Rede in Nürnberg (Bild: FDP)

Fehlt natürlich noch die Rede des FDP-Spitzenkandidaten Brüderle. Er greift so tief ins Niveau der Bilderkiste wie keiner vor ihm. SPD und Grüne wollten die Bürger

im ökosozialistischen Gleichschritt marschieren lassen,

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sei ein

sozialistischer Zauberlehrling,

in Berlin sei inzwischen die Rede von

Pleiten, Peer und Pannen.

Und auch der Grünen-Spitzenkandidat Trittin bleibt von Brüderle nicht unerwähnt. Der wolle die „Mitte aussaugen“ und sei deshalb der

Graf Dracula für den Mittelstand.

Et voilà: Drei Dracula-Zitate bei dpa, eines bei Reuters. Zu dieser Brüderle-Rede empfehle ich übrigens die Lektüre dieses Artikels auf SZ-Online des Kollegen Thorsten Denkler (auf Twitter unter @thodenk), der sehr treffend ein „Fips-Asmussen-Niveau“ bei Brüderle diagnostiziert.

Jürgen Trittin - Spitzenkandidat Bündnis90/Die Grünen (Bild: Rainer Rosenow)

Jürgen Trittin – Spitzenkandidat Bündnis90/Die Grünen (Bild: Rainer Rosenow)

Jürgen Trittin also ist inzwischen mit drei Titeln versehen: Räuber Hotzenplotz, Sheriff von Nottingham und Graf Dracula.

Der Grünen-Spitzenkandidat allerdings ist auch kein Kind von Traurigkeit in seinen Reden – vor allem wenn es um schräge Bilder und wilde Reime geht. Blick zurück auf den Parteitag der Grünen Ende April zur Vorbereitung des Bundestagswahlkampfs. Trittin bezeichnet in seiner Rede die Bundesregierung als:

fleischgewordener Stillstand

Und spricht von den Rüstungsgeschäften der Regierung mit Saudi-Arabien:

Der beste Kunde von der Angela, das ist der König Abdullah.

Claudia Roth, Parteivorsitzende (Bild: Bündnis90/Die Grünen)

Claudia Roth, Parteivorsitzende (Bild: Bündnis90/Die Grünen)

Die Parteivorsitzende aber „rockt“ anschließend die Veranstaltung, wie zahlreiche Zeitungen titelten. Claudia Roth drischt auf die CSU ein:

Die CSU toppt einfach alles – in amigohafter Selbstverständlichkeit: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Bei der CSU kommt die Moral nicht mal dann! Da beschäftigen Minister und Abgeordnete Ehefrauen und Kinder, die Frau vom Schüttel-Schorsch bekommt 5500,- Euro als Bürokraft.

Mit „Schüttel-Schorsch“ ist übrigens der CSU-Politiker Georg Schmid gemeint. Der erhielt diesen Spitznamen laut Wikipedia, weil er jedem so gerne die Hand schütteln mag.

Denen soll das Kruzifix doch von der Wand fallen!

ergänzt Roth noch. Und landet damit einen Volltreffer: Ihr Zitat ist Aufmacher-O-Ton im „Bericht vom Parteitag“ in der ARD.

Sie schließt ihre Rede mit einem wirren Bild – in dem Luftblasen umgemünzt zu Wundertüten mit Nieten werden. Und zwar zum Thema Frauenqoute:

Wenn die Union jetzt versucht, ihre gesammelten Luftblasen in neue Wahlversprechen umzumünzen, dann kommt mir das vor wie die Wundertüte auf dem Kindergeburtstag – leider hat Mama nur Nieten rein getan!

Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender (Foto: Dominik Butzmann / SPD)

Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender (Foto: Dominik Butzmann / SPD)

Nach diesen fulminanten Wortkapriolen tobt der Saal. Gastredner Sigmar Gabriel spricht direkt nach Roth.  Der SPD-Vorsitzende beginnt mit den Worten:

Und jetzt bin ich die arme Sau die nach ihr reden muss.

Das hatte er Mitte April auch schon auf dem SPD-Parteitag getan. Auch mit Vergleichen und Bildern. Damals sprach er über Bundeskanzlerin Merkel:

Sie ist eine hoch sympathische Anscheinserweckerin, liebe Genossinnen und Genossen. Eigentlich müsste sie nicht Angela Merkel, sondern „Angela  Mimikry“ heißen. Vielleicht kennt ihr das Mimikry-Phänomen aus der Biologie: Dabei versucht ein Lebewesen, ein anderes einfach nachzuahmen, um so zum Verwechseln ähnlich zu sein. Das Ziel ist immer das Gleiche: Mimikry heißt  tarnen und täuschen.

Immerhin liefert Gabriel die Erklärung für das Bild gleich mit.

Seien es nun Phänomene aus der Biologie, umgemünzte Luftblasen, fleischgewordene Stillstände oder Figuren aus Märchen und Sagen:

Wer denkt sich das eigentlich aus? Sind das wirklich hochqualifizierte Berater? Und glauben die ernsthaft, solche Texte trügen dazu bei, Wähler zu überzeugen? Es könnte stimmen. Ich vermute eine Strategie.

Die Frage muss nämlich auch an die eigene Zunft gestellt werden: Müssen wir solche Zitate auswählen – obwohl wir wissen, dass sie eigens für uns eingebaut wurden? Denn natürlich gibt es in den Reden auch sachliche Passagen, in denen nüchtern argumentiert wird. Aber die „rocken“ ja nicht. Die klingen ja „dröge“. Das ist doch „langweilig“.

Eine solche Parteitagsrede sieht sich kaum ein potentieller Wähler in voller Länge an. Die meisten Menschen erhalten die Zusammenfassung des Auftritts von uns, den Medien. Wir haben die Rede komplett gehört – meist liegt sie uns sogar schon schriftlich vor, bevor sie überhaupt gehalten wurde.

Trotzdem lassen wir uns immer wieder ködern von den telegenen Häppchen, von den schnittigen kurzen O-Tönen und von albernen Bildern und Vergleichen.

Ich sag’s auch mal mit einem Bild: Lasst uns den Medienstratgen in den Parteien den Wind aus den Segeln nehmen. Lasst uns gedroschene Phrasen nicht mehr zitieren. Sollen denen die Bilder aus dem Manuskript fallen – Kruzifix nochmal!

Über udostiehl

Redakteur und Sprecher