Experten, so weit das Auge reicht

Wir schlagen die Zeitung auf und lesen, was der Experte xy zum Thema z zu sagen hat. Wir schalten das Radio ein und hören – Überraschung – ein Gespräch mit einem Experten. Das Fernsehen hat natürlich auch einen Experten befragt. Und im Internet brauchen viele Experten nicht einmal befragt werden. Sie präsentieren sich bereits selbst auf ihren Seiten als – na? – Experten.

Einige dieser Menschen sind tatsächlich Experten auf ihrem Gebiet. Hoch angesehen, reichlich dekoriert und exzellent im Thema. Viele aber sind es nicht. Weil es sich aber so schön verkauft in den Medien, machen wir gerne Gebrauch vom Begriff des „Experten“ – und begehen dabei ganz bewusst einen Etikettenschwindel.

Denn wir hinterfragen vielmals die Fachkompetenz desjenigen nicht, den wir als „Experten“ bezeichnen. Und mit dem inflationären Gebrauch des Etiketts „Experte“ verspielen wir auf lange Sicht unsere Glaubwürdigkeit. Brechen wir uns in der Berichterstattung wirklich einen Zacken aus der Krone, wenn wir etwas präziser bezeichnen, wen wir zitieren?

Klassisches Beispiel Politik

Die meisten Abgeordneten im Bundestag haben Themenbereiche, auf die sie ihre Schwerpunkte legen. Entsprechend gibt es z.B. Außenpolitiker, Innenpolitiker, Sicherheitspolitiker, Rechtspolitiker und viele weitere Fachpolitiker. Diese Bezeichnungen beschreiben, womit sich diese Parlamentarier vornehmlich befassen – wie gut sie ihre Arbeit jedoch tun, wie umfangreich sie sich in ihrem Fachgebiet tatsächlich auskennen, das bleibt offen. Und jetzt die Gegenprobe mit einem Blick ins Nachrichtenmanuskript:

Außenexperte, Innenexperte, Sicherheitsexperte, Rechtsexperte

Na, das klingt doch gleich nach geballter Kompetenz und außerordentlichem Fachwissen! Ist das wirklich vorhanden? In den meisten Fällen wissen wir das nicht. Das „Experten-Etikett“ kleben wir trotzdem drauf.

Gehen wir in die politischen Ebenen, die unterhalb der Ministerien liegen. Dort tummeln sich zahlreiche „Experten„. Übrigens nicht unbedingt, weil sie sich selbst so bezeichnen, sondern weil sie von uns so gerne als solche betitelt werden. Aus einem „rechtspolitischen Sprecher der Fraktion“ wird – hurra, wieder ein paar Wörter und Sekunden gespart – ein „Rechtsexperte„. Und um ihn herum verwandeln sich in den Manuskripten auch die Sprecher für andere Themen im Handumdrehen zu „Experten“ der entsprechenden Parteien. Dabei nutzt sogar die interessierte Seite selbst die eher zurückhaltende Bezeichnung „Sprecher“. Das sagt ehrlicherweise nichts über die fachliche Kompetenz aus. Erst unsere Wandlung in „Experte“ suggeriert, hier handele es sich um einen absoluten Fachmann.

Journalisten als Experten

Weil das so prima funktioniert, spielen wir das Spiel der Etiketten auch im eigenen Kreis. Redakteure mit bestimmten Themenschwerpunkten werden gern als „Experten“ bezeichnet. Der Wirtschaftsredakteur ist – im Interview mit dem Moderator on Air – ein „Wirtschaftsexperte„. Es gibt auch Kollegen, die gelegentlich über die Deutsche Bahn berichten. Ja, Sie ahnen es, das sind die „Bahn-Experten„. Und ich selbst sehe schon dem Moment entgegen, dass ich nicht als Nachrichtenredakteur, sondern als „Nachrichten-Experte“ vorgestellt werde. Das würde implizieren, ich kennte mich mit sämtlichen Zusammenhängen dieser Welt aus wie kaum ein anderer. Ich bedaure, das ist nicht der Fall.

Viele „Experten“ sind also tatsächlich nicht wirklich das, was ihr Etikett verspricht – und das ihnen auch noch meist von uns Medien aufgeklebt wurde. Warum nicht differenzierter formulieren? Lassen wir den für Rechtspolitik zuständigen Fraktionssprecher doch neutral das sein, was er ist: Rechtpolitischer Sprecher, Rechtspolitiker oder Abgeordneter mit dem Schwerpunkt Rechtspolitik. Lassen wir doch den Buchautoren, der eine Biographie über die britische Königin geschrieben hat, als das erscheinen, was er – neutral betrachtet – ist: Kein „Experte des englischen Königshauses“, sondern Autor und Biograph.

Diejenigen, die erwiesenermaßen über exzellentes Fachwissen und Kenntnis der Zusammenhänge verfügen, sind wirklich Experten. Aber nicht jeder, der in losem Zusammenhang mit einem Thema schon mal zu tun hatte.

(Bild: Udo Stiehl)

Über udostiehl

Redakteur und Sprecher

2 Kommentare zu “Experten, so weit das Auge reicht

  1. Ich erinnere mich gut an die „Terrorexperten“, die erklärten, das Massaker sei eindeutig von der Al Qaida verübt worden. Kurz bevor herauskam, dass es ein gewisser Herr Breivik war.

  2. […] sich alles “Experte” schimpfen darf, war spätestens nach den Morden von Oslo durch Anders Breijvik […]

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