Mein bester Blogpost aller Zeiten. Hoffentlich nicht.

„Das ist die schlimmste Niederlage aller Zeiten„, sagt Luiz Felipe Scolari. Er trainiert die Fußball-Nationalmannschaft Brasiliens. Im Halbfinale gegen Deutschland kassierte seine Mannschaft sieben Gegentore. Ein Treffer lediglich ging in dem Spiel auf das Konto der Gastgeber der Weltmeisterschaft. Wenn das die „schlimmste Niederlage aller Zeiten“ war, dann können wir beruhigt in die Zukunft sehen. Nimmt man Scolari beim Wort, kann es nämlich wirklich niemals mehr schlimmer werden:

Im Nachrichtengeschäft ist es in der Tat eigentlich ausgeschlossen, Ereignisse als „xyz aller Zeiten“ zu bezeichnen. In der Redaktion steht keine funktionierende Glaskugel, hellseherische Fähigkeiten wurden bislang nicht wissenschaftlich bewiesen und Zeitreisen zur tieferen Recherche konnten bislang auch nicht unternommen werden. Dennoch mag der eine oder andere Redakteur nicht von der Formulierung lassen, obwohl sie – streng genommen – nicht nur für die Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft gilt.

Eine kleine Suche in den Nachrichtenmeldungen der zurückliegenden zwölf Stunden ergibt aus dieser Sicht ganz neue Blicke in die bevorstehenden Jahre. Zum Teil ernüchternd, zum Teil erschütternd – aber auch manchmal beruhigend. Bleiben wir zunächst beim Fußball und freuen uns über die Vorhersage der MITTELDEUTSCHEN ZEITUNG, Brasilien werde niemals wieder mehr als sieben Gegentreffer hinnehmen müssen:

Brasilianer (…) beglückwünschen die Nationalelf zum Sieg über ihr eigenes Team, das wenige Stunden zuvor die furchtbarste Niederlage aller Zeiten erlitten hatte.

Sollte die deutsche Nationalmannschaft am Sonntag tatsächlich Fußball-Weltmeister werden, können wir uns entspannt zurücklehnen. Folgt man der Prognose des STANDARD aus Österreich, genügt es, Joachim Löw schlicht für alle Ewigkeit unter Vertrag zu halten:

Löw stand immer ein bisschen in der Kritik, obwohl er nur an seiner Punktebilanz gemessen der beste deutsche Bundestrainer aller Zeiten ist.

Und die Niederlande können einpacken. Das wird nie wieder was mit dem Weltmeistertitel, lehrt uns die AUGSBURGER ALLGEMEINE:

Der Trainer van Gaal wurde teils überschwänglich gefeiert und von manchem sogar „als bester Bondscoach aller Zeiten“ verehrt.

Hilft aber ja nichts, denn seine Mannschaft ist ausgeschieden. Selbst seine Nachfolger können ihn dieser Logik nach nicht übertrumpfen.

Verwirrende Nachrichten dagegen für das ZDF in der BERLINER ZEITUNG:

Für den Dienstagabend meldete die GfK eine Einschaltquote von achtundachtzig Prozent beim ZDF. 32,57 Millionen Zuschauer sahen das Halbfinalspiel der deutschen Mannschaft gegen Brasilien. Das sind auch mehr als vor vier Jahren, als beim damaligen Halbfinale mit 31,1 Millionen Menschen und einem Marktanteil von 83,2 Prozent die höchste Quote aller Zeiten gemessen wurde.

Schon 2010 wurde also die höchste Quote aller Zeiten gemessen. Wie konnte das ZDF dann vier Jahre später höhere Zahlen erzielen? Selbst Verschwörungstheoretiker dürften verblüfft sein. Liegt ein Fehler im Raum-Zeit-Kontinuum vor?

Und wird dieses Phänomen auch auf Twitter zukommen? Immerhin meldet das mit Medien vertraute Magazin HORIZONT:

Mit 35,6 Millionen Tweets wurde #BRAGER zum meistdiskutierten Sportevent aller Zeiten auf Twitter.

Es wäre schon etwas bedauerlich, würden das Endspiel Deutschlands gegen Argentinien und sämtliche „Sportevents“ in der Zukunft dahinter zurückstehen.

Freude dagegen bei Bayer Leverkusen. Der Fußballverein kann endlich verlässlich kalkulieren. Egal, welcher Spieler auf dem Transfermarkt eingekauft wird – teurer kann es nicht mehr werden, beruhigt der EXPRESS:

Mittwochmorgen traf sich Leverkusens Klubchef Michael Schade (61) mit Bektas Demirtas, dem Berater von Bayers teuerstem Neuzugang aller Zeiten, Hakan Calhanoglu (20).

Sportliche Vorfreude ist aus Brandenburg an der Havel zu vernehmen. Der Beetzsee wird für Kanuten Maßstäbe bis in alle Ewigkeit setzen, mutmaßt die SPORTSCHAU der ARD:

Die diesjährige Kanurennsport-Europameisterschaft soll die größte aller Zeiten werden.

Im Tennis ist der Drops übrigens längst gelutscht. Mag es so noch viele Gleichstand-Meldungen des Schiedsrichters geben. Schon seit vier Jahren ist klar: Spätestens nach knapp einem halben Tag Spielzeit ist für immer Schluss, wie die STUTTGARTER ZEITUNG meldet:

Die Herren Nicolas Mahut und John Isner etwa, die duellierten sich 2010 in der ersten Runde von Wimbledon stolze elf Stunden und fünf Minuten. Im längsten Match aller Zeiten, das zweimal wegen Dunkelheit abgebrochen werden musste, siegte letztlich Isner mit 70:68 im fünften Satz.

Glauben Sie ja nicht, die für immer und ewig geltenden Prognosen seien auf den Sport beschränkt. Nein, auch die Kultur ist betroffen. In schweizerischer Präzision meldet SRF3:

Dieser Festivalsommer wird der beste aller Zeiten.

Und wenn auf einer solchen Veranstaltung hartes Brett zu hören sein sollte, dann bitte nur das beste aus der Zunft. Denn danach kommt nichts ebenbürtiges mehr. Nie wieder! Nicht umsonst weiß DER STANDARD aus Österreich:

Das aktuelle Programm der erfolgreichsten Metalband aller Zeiten nennt sich „Metallica By Request“.

Jetzt – immer noch im Ressort Kultur – eine schockierende Nachricht für „Trekkies“: „Star Wars“ kann nicht mehr übertroffen werden. Das Fernsehblatt TV MOVIE jongliert mit Maßstäben und der Prognose schlechthin:

„Episode VII“ wird neue Maßstäbe setzen! Nicht nur, weil die beliebteste Filmreihe aller Zeiten ins neue Jahrtausend aufbricht oder weil fast alle Originalstars zurückkehren, sondern auch, weil Raumschlachten, Lichtschwertkämpfe und fremde Planeten auf der Leinwand in höchster Bildqualität erstrahlen werden.

Übrigens vermeldet die TIROLER TAGESZEITUNG eine Sensation, die von anderen Medien irgendwie nicht aufgegriffen wurde. Möglicherweise rätseln die Redaktionen noch über die tiefere Bedeutung der Worte. Was will die Zeitung uns sagen, wenn sie von einem Ereignis berichtet, das „bisher“ das „schwerste aller Zeiten“ war? Doppelte Glaskugel? Meta-Ebene erreicht?

In der vergangenen Woche hatten sich zahlreiche Gesundheitsminister aus der Region bei einer Krisensitzung in Accra auf ein Maßnahmenpaket geeinigt, um die bisher schwerste Ebola-Epidemie aller Zeiten einzudämmen und eine weitere Ausbreitung zu verhindern.

Schließlich noch ein Blick in das HANDELSBLATT. Bescheiden wie es ist, trumpft es mit Sensationen nicht auf, sondern liefert zusätzlichen Hintergrund zu aktuellen finanzpolitischen Entwicklungen. Von Bescheidenheit geprägt verzichtet die Zeitung auf sensationsheischende Schlagzeilen. „Niemals mehr Geld als Rockefeller“ oder „Rockefeller-Limit überschritten – was nun?“ waren niemals zu lesen im HANDELSBLATT. Aber das ist auch gar nicht nötig. „Die Finanzkrise ist gelöst“ sollte die Überschrift heißen. Mehr als Rockefeller schafft niemand – und niemals:

Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, gelingt John D. Rockefeller mit seinem einzigartigen Geschäftssinn der Aufstieg zum reichsten Menschen aller Zeiten.

John D. Rockefeller starb bereits am 23. Mai 1937.

Soweit mein bester Blogpost aller Zeiten. Von dem ich hoffe, dass er niemals der beste Blogpost aller Zeiten wird. Wäre doch irgendwie verdammt unspannend. Und der Nachrichtenwert wäre der schlechteste aller Zeiten.

(Bild: Fabian Mohr)

Über udostiehl

Redakteur und Sprecher

3 Kommentare zu “Mein bester Blogpost aller Zeiten. Hoffentlich nicht.

  1. […] provokant, und mit aller Zeiten sollte man vorsichtig sein, wie Kollege Udo Stiehl auf seinem Blog so schön ausführt. Außerdem, auch das eine eiserne Regel, sollten Journalisten ihre Arbeit tun und nicht über ihre […]

  2. Dem letzten Absatz schließe ich mich ohne Wenn und Aber an – und ich hoffe nicht, dass das mein „dümmster Blogkommentar aller Zeiten“ ist 🙂

  3. SalvaVenia sagt:

    Niemals in aller Zeiten haben wir diese besten Einsichten aller Zeiten jemals und zu keiner aller Zeiten vorausahnen können … 🙂

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