Streicht die Adjektive und nehmt der AfD ihre „Lügenpresse“-Munition

Die Parteien dürften sich nicht der Wortwahl der AfD anpassen, sagte Bundeskanzlerin Merkel in der Generaldebatte des Bundestages. Man kann darüber trefflich streiten, ob sie nun speziell in Richtung CSU und Horst Seehofer formulierte, oder ob alle Parteien gleichermaßen gemeint waren. Zweifelsfrei jedoch sprach Angela Merkel ein Thema an, das auch Journalisten betrifft. Denn in vielen Redaktionen wird zu wenig darüber nachgedacht, was Formulierungen mit sich tragen – wenn sie gut gemeint, aber nicht gut gemacht sind.

Dass der Anschub für die neuerliche Debatte ausgerechnet von der Parteivorsitzenden der CDU kommt, deren Schwesterpartei CSU vor allem mit den Worten Horst Seehofers in der AfD-Wortwildnis räubert, ist nur ein Randaspekt. Hier soll es um die Verbreitung und Einordnung solcher Äußerungen gehen. Das betrifft uns als Nachrichtenredakteure besonders, denn wir bilden politische Debatten ab – und dazu zählen auch Zitate, die wörtlich zu sein haben. In der Folge transportieren wir automatisch auch die Wortwahl.

Das macht uns auf den ersten Blick zu Gehilfen. Wenn Seehofer z.B. sagt:

Die Stimmung hat sich geändert, gerade wegen der extrem hohen Zahlen beim Asylmissbrauch aus Balkan-Staaten,

dann übermitteln wir – ganz in seinem Sinne und politischen Kalkül – auch den Begriff „Asylmissbrauch“ an die breite Öffentlichkeit. Und wenn er noch einen draufsetzt und formuliert:

Wir müssen diesen 40-prozentigen Missbrauch, man kann sagen den massenhaften Missbrauch, zurückführen und einstellen. (…) Wir müssen rigorose Maßnahmen ergreifen,

dann ist auch das erst einmal nur ein Zitat. Aber die Wortwahl des „massenhaften Missbrauchs“ haben wir damit trotzdem gleich in Umlauf gebracht.

Wir liefern aber auch die Gegenpositionen. Zum Beispiel, wenn Claudia Roth nicht weniger publikumswirksam formuliert, Seehofer tue so,

als stünden feindliche Heere vor Rosenheim oder vor Passau

und die CSU wolle

nichts anderes als die Orbanisierung der Flüchtlingspolitik,

womit sie Ungarns Ministerpräsidenten Orban zum Wortspiel macht, der für seine konservative politische Haltung bekannt ist und im gleichen Atemzug „Orbanisierung“ nun auch als Begriff gesetzt ist.

Der Diskurs ist dargestellt – der Zuschauer, Hörer oder Leser kann sich daraus seine Meinung bilden. Und natürlich wurden auch noch unzählige weitere Zitate verbreitet, die hier nicht als Beispiele aufgeführt sind.

Warum aber verwenden wir Etiketten? Und nur dann, wenn die Vermutung nahe liegt, es entspräche nicht unserer eigenen politischen Auffassung? Das oft gehörte Argument ist, man wolle eine Einordnung bieten, was dann so klingt:

Die rechtspopulistische AfD hat vor allem Nichtwähler mobilisieren können.

oder mit Blick auf die schon erwähnte Generaldebatte im Bundestag:

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Parteien aufgerufen, sich geschlossen gegen die rechtspopulistische AfD zu stellen.

Das spielt der AfD in die Hände, oder wurde – zur politischen Einordnung – die CSU jemals automatisch mit dem Adjektiv „rechts-konservativ“ bezeichnet? Ist in Nachrichten die Partei Die Linke ständig mit dem Vorsetzer „links-extrem“ etikettiert (nachdem sie über Jahre das Label „SED-Nachfolgepartei“ aus vorherigen Konstellationen mitschleppte)?

Man muss keine der erwähnten Parteien mögen – dennoch ist die vermeintliche „Einordnung“ nichts anderes als ein Kommentar. Der hat nichts in Nachrichten verloren.

Wir stellen uns selbst ein Bein, wenn wir solche Adjektive verwenden und damit – unabhängig vom Meldungsthema – gleich eine Wertung in die Nachricht einbauen. Wenn die AfD etwas öffentlich kundtut, das sogar nachrichtenrelevant ist, dann entlarvt sich ohnehin von selbst, wes geistig Kind diese Partei ist. Sie zusätzlich noch als rechtspopulistisch zu bezeichnen, mag gut gemeint sein, um Einordnung zu bieten, aber:

Es ist ein Bumerang. Wir müssen uns nicht wundern, wenn dann der Vorwurf erhoben wird, nicht wertneutral zu berichten. Und weitere Unterstützung für Frauke Petrys Wortschöpfung „Pinocchio-Presse“ müssen wir auch nicht leisten. Im Gegenteil:

Nachrichten erhalten ihre Glaubwürdigkeit durch neutrale Darstellung der Faktenlage. Die politische Debatte wird so berichtet, wie sie stattfindet. Und neuerdings mischt eben dabei auch eine weitere, sehr „konservative“ Partei mit. Wir dürfen dennoch nicht abrücken von der neutralen Position. Nur dann erhalten wir die Glaubwürdigkeit unserer Berichterstattung und machen uns nicht zur Zielscheibe derer, die von freier Presse ohnehin wenig halten.

 

 

 

 

 

Über udostiehl

Redakteur und Sprecher

Ein Kommentar zu “Streicht die Adjektive und nehmt der AfD ihre „Lügenpresse“-Munition

  1. Herbie sagt:

    Ja, das Adjektiv entlarvt den Menschen in seinen Ansichten.
    Wollen die „Adjektivisten“ mir vermitteln die Erde sei eine Scheibe?

    mfg

    Herbie

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