Ein gefährliches „Wirus“ breitet sich aus

Wir sind, wir müssen, wir sollten… Diese Formulierungen sind nicht neu. Wer für seine Meinung wirbt, seine Argumente vorbringt und rhetorisch möglichst alle ansprechen möchte, bedient sich gerne solcher „Wir“-Konstruktionen. Dieser Mechanismus jedoch führt inzwischen zu einer – durchaus beabsichtigten – Lagerbildung, die dem Versuch einer Geiselnahme gleichkommt. Ganz nach dem Schema, das George W. Bush einst nutze: „Either with us, or with the terrorists“. Dieses „Wirus“ ist ansteckend und gefährlich.

Die Redner werden übergriffig. Dazu nutzen sie ein einfaches, wie auch effektives Mittel. Sie unterteilen bewusst zwischen „wir“ und den „anderen“. Dabei sortieren sie mit „wir“ alle Zuhörer meist unbemerkt in ihre Gedankenwelt ein – wer Widerspruch empfindet, gehört nicht dazu.

Das kann in einer Wahlkampfkampagne, wie 2013 bei der SPD, harmlos daherkommen:

  • Das WIR entscheidet, hieß es damals im Titel des Programms der Sozialdemokraten. Gemeint war unter anderem sozialer Zusammenhalt. Das „Wir-Gefühl“ sollte gestärkt werden.
  • Wir sind Kirche nennt sich eine Organisation, die dafür eintritt, unter anderem den Zölibat abzuschaffen, die Ökumene voranzutreiben und Frauen in kirchlichen Ämtern verlangt. 2014 wurden die beiden Vorsitzenden der Initiative exkommuniziert.
  • Wir sind das Volk, riefen die Demonstranten bei den Montagsdemonstrationen in der DDR 1989 und 1990. Dahinter steckte der gemeinschaftliche Wunsch nach Freiheit. Eine demonstrative Abgrenzung von der Staatsführung, die vorgab, für eben dieses Volk sprechen und entscheiden zu dürfen.

Die Motive sind sehr verschieden – die Methode aber ist identisch: „Wir“ soll synonym für Mehrheit stehen, egal ob das tatsächlich der Fall ist. Die Wortwahl suggeriert das. Und stetige Wiederholung vertieft den subjektiven Eindruck. Genau das ist das Wirus, das sich nun ausbreitet.

Wer gezielt seine Position als mehrheitsfähig darstellen will, nutzt diese rhetorisch einfache und schlagkräftige Wortwahl. Ganz egal, welches Thema in die öffentliche Debatte gedrückt werden soll: „Wir“ funktioniert inzwischen wie eine Droge. Und sie spaltet exakt so, wie es beabsichtigt ist.

Alexander Gauland von der AfD führt es in einem Interview mit der Zeit vor:

Gauland: „Ich will nicht in einer muslimischen Gesellschaft leben, dafür haben wir schließlich 1683 die Türken vor Wien aufgehalten … Ja, da lachen Sie.“

ZEIT: „Wir finden das „wir“ hier etwas übertrieben.“

Gauland: „Ich glaube einfach, dass der Islam in seiner heutigen Form nicht integrierbar ist in eine westliche Gesellschaft, viele Einzelne schon, der Islam nicht.“

Ungarns Ministerpräsident Orban lässt in einer Pressekonferenz wissen:

„Wer immer Migranten braucht, kann sie nehmen, doch zwingt sie uns nicht auf, wir brauchen sie nicht.“ Migration sei für Ungarn „keine Lösung, sondern ein Problem. Nicht Medizin, sondern ein Gift, wir wollen es nicht und schlucken es nicht.“

Und

„Wir sind alle Brüder und Schwestern.“

verkündet Donald Trump Anfang September, als er in Detroit einen Gottesdienst der „Great Faith Church“ besucht – dort leben 83% Schwarze.

Diese Methode des „Wir“ als Käscher für die eigene Sichtweise ist auf Seiten der rechtsextremen Protagonisten inzwischen zum Standard geworden. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums hatte ich es ähnlich vermutet – eine umfangreiche Google-Suche jedoch förderte nicht vergleichbares zu Tage. (Dabei sei angemerkt, dass es sicherlich vereinzelte Beispiele gibt, die mir entgangen sind. Dass aber mit ähnlichen Suchbegriffen massenhaft Links mit rechts-orientiertem Inhalt erscheinen, nicht jedoch links-politische Verlinkungen gefunden werden, ist zumindest eine bemerkenswerte Tendenz.)

Was sich allerdings findet – und das nicht zu knapp – sind Formulierungen, in denen das „Wir“ eindeutig parteiergreifend ist. Es sind aber keine Zitate wie oben angeführt. Es sind journalistische Texte, Berichte und Interviews. Kommentare nicht mitgezählt.

„Was wir alle aus dem Trump-Schock lernen müssen“,

meint die B.Z. aus Berlin „uns“ im Befehlston nahelegen zu müssen.

„Alle reden über „die Rechten“.  Aber was ist heute eigentlich „rechts“? Und wann müssen wir etwas dagegen tun?“,

fragt jetzt.de, also das auf jüngere Leser ausgerichtete Portal der Süddeutschen Zeitung. Das Wort „wir“ kommt ganz galant vorbeigehuscht in der Frage, versucht aber, den Leser gleich auf eine Seite der Meinung – wenn nicht gar Grundhaltung – zu ziehen.

Eine Runde deftiger vollzieht vice.com diese „Wir“-Vereinnahmung:

„Wir sind alle gefickt“,

titelt der Autor. Er meint die Wahl von Donald Trump zum künftigen Präsidenten der USA. Die Schlagzeile zieht. „Wir“ sollen also diejenigen sein, die selbstverständlich gegen Trump sind. Ist das so? Sind „wir“ qua Definition über Medien „wir“? Oder schließt da ein Autor kategorisch aus, dass der Leser eine andere Meinung haben darf? Weiter im Text:

„Trump ist der nächste Brexit. Trump ist der nächste Heath-Ledger-Joker. Trump ist der nächste Präsident der Vereinigten Staaten. Und wir sind alles ignorante Idioten.“

Wenn es danach geht, liebe als Idioten bezeichnete Leser, wird sehr deutlich, was das anfänglich erwähnte „Wirus“ an Kraft entfaltet. Positionen, Argumente und Sichtweisen werden nicht mehr ausgetauscht. Sie werden gesetzt. Mit einer Vehemenz, die keine Widerspruch zulässt, weil „wir“ zum bewussten und beabsichtigten Trenner wird zwischen zwei Fronten. Dazwischen kann es – nach dieser Definition – nichts geben.

„Either with us, or with the terrorists“ ist das Vorbild. Schwarz oder Weiß. Links oder Rechts. Nichts dazwischen.

Wollen „wir“ das?

 

(Foto: privat)

 

 

 

 

 

 

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Redakteur und Sprecher