Kriegsrhetorik: Offensive im Anti-Terror-Einsatz oder Angriff auf den Gegner?

Mehrere Kriege bestimmen im Moment die Nachrichten. Im Gaza-Streifen befindet sich die israelische Armee in einer „Offensive„. Ebenso, wie das ukrainische Militär in einem „Anti-Terror-Einsatz“ im Osten des Landes „operiert„. Dazu kommen die Meldungen aus dem Irak, wo die Organisation „Islamischer Staat“ – IS abgekürzt – auf dem „Vormarsch“ ist. Und das sind nur die derzeit am häufigsten erwähnten Kriege. Viele Meldungen über den Verlauf und die Form der Kämpfe sind Kriegspropaganda der einen oder anderen Seite. Doch selbst wenn diese ausgeblendet werden bleiben zahlreiche Begriffe, die sich in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeschlichen haben und in die Kategorie „Kriegsrhetorik“ fallen:

Das wohl am häufigsten verwendete Wort in allen genannten Kriegen ist die „Offensive„. Klingt vergleichsweise harmlos, denn offensiv sind auch – je nach Spielposition – Fußballspieler, oder – abhängig von der Position der Figuren –  Schachspieler und in Debatten entsprechend wortgewandte Diskutanten. Der DUDEN stellt in seiner Definition des Begriffs „Offensive“ im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen fest

den Angriff bevorzugende Kampfweise, Kriegführung; Angriff

Eine klare Definition also. Mit Blick auf den Nahen Osten z.B. jedoch ergibt die Verwendung des Begriffs „Offensive“ damit eine implizite Parteinahme. In zahlreichen Agenturmeldungen und Nachrichtentexten ist von der

israelischen Offensive im Gaza-Streifen (DIE WELT)

die Rede. Stimmt das? Greift nur Israel den Gaza-Streifen an? Gibt es keine „Offensive“ seitens der radikalen Palästinenser-Organisation Hamas? Kommt von dort nicht auch eine „den Angriff bevorzugende Kampfweise“? Zweifelsohne ist das der Fall. Dennoch ist von einer „palästinensischen Offensive“ oder von einer „Offensive der Hamas“ keine Rede.

Beide Seiten greifen sich an

Deshalb halte ich den Begriff „Offensive„, ausschließlich verbunden mit der israelischen Seite, nicht nur für verharmlosend, sondern für falsch. Neutraler und aus der Sicht der Nachrichten sowohl präziser als auch deutlicher ist die Formulierung „Angriff“ bzw. „gegenseitige Angriffe„.

In der Ukraine ist die Gemengelage um einiges komplizierter. Dennoch gibt es Begriffe, die von interessierter Seite geprägt werden und leider auch in Nachrichtenmeldungen gelangen. Wo sie nichts zu suchen haben. Die ukrainische Regierung hat ihrem Militäreinsatz gegen die Separatisten im Osten des Landes von Anfang an ein wortgewaltiges Etikett verpasst. Es handele sich um einen „Anti-Terror-Einsatz„. Das ist aus Sicht der Führung in Kiew sicherlich eine nachvollziehbare Definition. Nachrichtlich neutral ist sie nicht. Dennoch übernehmen Medien den propagandistischen Begriff. Ein Zitat von der Webseite der DEUTSCHEN WELLE:

Beim Stab der Anti-Terror-Operation der ukrainischen Armee geht man von bis zu 2000 russischen Geheimdienstlern aus, die als Saboteure im Land unterwegs sind.

Etwas zurückhaltender nimmt beispielsweise das HANDELSBLATT den Begriff in seinen Text auf und erzeugt eine gewisse Distanz durch Anführungszeichen:

Gleichzeitig intensiviert die ukrainische Führung, nicht zuletzt in Reaktion auf wachsenden innenpolitischen Druck, die „Anti-Terror-Operation“ im Osten des Landes.

Immerhin. Aber ist es wirklich notwendig, diesen Propaganda-Begriff einzusetzen? Ist es nicht neutraler, von einem „Armee-Einsatz“ oder einem „Angriff gegen“ die Separatisten zu sprechen?

Noch schwieriger wird es mit Blick auf die Entwicklung im Irak

Von dort war zunächst von der ISIS berichtet worden. Das Kürzel stand für „Islamischer Staat im Irak und Syrien“. Ende Juni 2014 rief die Organisation das Kalifat „Islamischer Staat“ aus – kurz IS. Dahinter steht ein System, das bereits seit längerer Zeit seine Ziele verfolgt und die instabile Situation im Irak nun zu seinen Zwecken nutzt. Wie lässt sich eine solche Organisation möglichst neutral umschreiben? Auch hier gibt es unterschiedliche Ansätze. Die TAGESSCHAU berichtet über

die IS-Rebellen im Irak und Syrien

und hält sich dadurch einer Bewertung eher fern. Häufiger jedoch ist von der „Terrorgruppe“ die Rede. Zum Beispiel in den Nachrichten von RTL – unter der Überschrift „Welt am Abgrund“:

In Syrien und Irak ist die Terrorgruppe ISIS auf dem Vormarsch.

Was ist nun angemessen und nachrichtlich vertretbar?

Wieviel Neutralität gehört neben der notwendigen Einordnung in die Begriffe? Einen definitiven Vorschlag kann ich Ihnen bei diesem Fall nicht machen. Ich tendiere zur möglichst neutralen Form, denn Nachrichten haben in erster Linie eine wertfreie Information zu liefern, über die sich der Hörer/Leser/Zuschauer selbst sein Urteil bilden soll. Andererseits besteht der Anspruch, den Konsumenten der Information eine Orientierung an die Hand zu geben. Was hat Vorrang? Wieviel Platz bleibt in zehn Zeilen, den Hintergrund der IS zu beleuchten?

Jetzt noch ein kurzer Blick in den OP.

Denn Soldaten greifen in der öffentlichen Darstellung nicht an oder schießen bzw, bombardieren. Nein, sie operieren. EURONEWS fasst es so zusammen, indem ein israelischer Soldat zitiert wird:

„Sie diktieren uns unser Vorgehen dadurch, von wo aus sie operieren. Wir werden dort operieren. Wir haben das Recht und Pflicht unsere Bevölkerung zu schützen und das machen wir”, sagt Hauptmann Buckman.

„Die israelische Armee bezeichnet die Operation als ihre größte Herausforderung,“

heißt es in dem Artikel weiter.

Davon abgesehen gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Begriffe aus der Kriegsrhetorik, die ungefiltert in unsere Meldungen schwappen. Der Nachrichtengiftschrank hat sich mit einigen besonders häufigen Formulierungen bereits auseinandergesetzt. Zur Kriegsrhetorik finden Sie in unserer Sammlung:

Wenn Sie mögen, dann schildern Sie doch Ihre Erfahrungen im Nachrichtenalltag mit Kriegsrhetorik. Das Kommentarfeld steht Ihnen offen.

 

(Bild: NATO-Pressestelle)

Über udostiehl

Redakteur und Sprecher

9 Kommentare zu “Kriegsrhetorik: Offensive im Anti-Terror-Einsatz oder Angriff auf den Gegner?

  1. […] und Nachdenkens über kriegerische Auseinandersetzungen schreibt auch Udo Stiehl. Er fragt „Kriegsrhetorik: Offensive im Anti-Terror-Einsatz oder Angriff auf den Gegner?“ und regt zum Nachdenken über die Überparteilichkeit der Berichterstattung […]

  2. Sehr guter Beitrag! Die zunehmende Scheu der Medien, einen Krieg „Krieg“ zu nennen, ist mir in letzter Zeit auch aufgefallen.

  3. Artur von Blasewitz sagt:

    Sie zitieren die DEUTSCEHN WELLE:

    „Beim Stab der Anti-Terror-Operation der ukrainischen Armee geht man von bis zu 2000 russischen Geheimdienstlern aus, die als Saboteure im Land unterwegs sind.“.

    Ich bin ja bei solchen Zahlenangaben auch immer skeptisch.

    Wer hat die 2000 Geheimdienstler denn gezählt. Konnten die sich verläßlich als solche legitimieren?

    Ist der Herr Redakteur mit so einem Knipse-Ding in der Hand losmarschiert – auf ins Kampfgebiet.

    Dortselbst angekommen hat er sich auf einen Gartentisch gestellt und – wie man das in Filmen wie „Dick und Doof ziehen in den Krieg“ oder „Pat und Patachon die Vaterlandsverteidiger“ so zu sehen kriegt – losgebrüllt: „So jetzt mal alle Mann in Reih‘ und Glied aufgestellt. Und mal’n Bißchen zackig da hinten“!

    „Duuurchzählennnn! Uuuund eins und zwei …“.

  4. […] Udo Stiehl: Kriegsrhetorik: Offensive im Anti-Terror-Einsatz oder Angriff auf den Gegner? […]

  5. […] wo Komplexität oftmals auf ein Schwarz-Weiß-Muster runtergebrochen wird. Udo Stiehl hat sich Kriegsrhetorik und journalistische Sprache mal genauer, auch etymologisch, angeguckt. Empfehlenswert auch für die […]

  6. bertrandolf sagt:

    Mein Vorposter BankImGlück ist meiner Meinung nach auf dem richtigen Weg. Nur das wort Offensive sollte durch Operation ersetzt werden, wobei eine Operation nur zwei Richtungen kennt, Offensiv und Defensiv.
    Im Grunde gibt es 3 Ebenen vom kleinsten zur Größten: Taktik/Gefecht, Operation und Strategie.
    Ein Angriff gehört meines Erachtens auf die Taktik oder Gefechtsebene. So kann ein Angriff auch Teil einer Defensivoperation sein, wenn in der Ukraine zum Beispiel die Rebellen die Einkesselung in einem Gefecht verhindern wollen.

    Aber in Artikeln blickt da sowieso keiner durch, was gerade gemeint ist und die Begriffe werden schwammig und propagandistisch genutzt.

  7. Anonym sagt:

    Momentan ist die israelische Armee in der Offensive. Sie greift Gaza an. Die Soldaten in Gaza verteidigen die Stadt, sie sind in der Defensive.

    Das gleiche gilt für die Ukraine. Die Nationalgarde greift Donezsk an, die Seperatischen versuchen die Stadt zu halten sind also in der Defensive.

    Als die Hamas Tel Aviv beschoßen hat, war sie in der Offensive, und Israel in der Defensive. Jetzt ist es aber andersrum.

    Die ISIS startet eine Offensive auf Bagdad. Wobei Bagdad einen Gegenoffensive auf ISIS kontrollierte Städte mit Hilfe lokaler Stammesführer starten möchten, die die ISIS loswerden möchten.

    Generell stimme ich Ihnen aber zu. Es sollten ausschließlich neutrale Begriffe genutzt werden.

  8. BankImGlück sagt:

    Unter einer Offensive verstehe ich nicht nur einen simplen Angriff, sondern einen anhaltenden massiven Angriff mit dem Ziel der Kontrollübernahme. Wenn also drei Raketen aus Gaza rüber fliegen ist das ein Angriff, aber keibe Offensive. Wenn zur Antwort zehn Kampfflugzeuge und 50 Panzer in Gaza grossräumig Gebäude und Menschen plätten, ist das eine Offensive. Der Duden ist da auch eher das falsche Nachschlagewerk.

  9. Auch im Radio wurde von Anfang an von einer Offensive der Israelis gesprochen, wobei es oft hieß: „Zuvor hatte die Hamas Ziele in Israel angegriffen“ oder „Dem vorausgegangen war ein Raketenabwurf auf Jerusalem“ oder ähnliches. Wissen manche Journalisten wirklich nicht, was das Wort „Offensive“ bedeutet? Mich hat es jedenfalls immer negativ berührt, und ich finde, daß das mit seriösem Journalismus nichts zu tun hat, sondern in die Kategorie Parteinahme, ja Stimmungsmache gehört.

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